Engel? Geister? Spiritualismus?

Zusammenfassung und Ausblick

Wir haben gezeigt, wie verschiedene esoterische Verfahren ihre Wirkung erklären und ihre Glaubwürdigkeit erhöhen.

Vor allem am Beispiel des Global Scaling® wurde deutlich, welche Tricks Pseudowissenschaft einsetzt, um zu überzeugen.

An den vorgestellten Energieheilverfahren wurde vor allem das Geschäftsmodell und die Strategie, das volle Ausmaß der magisch-spirituellen Erklärungsansätze erst nach und nach zu vermitteln, deutlich.

Die vorgestellten Denkschulen sind anschauliche Beispiele für den Trend weg von der monolithischen, weltweit agierenden Sekte hin zur fragmentierten Gebrauchsesoterik. Diese Entwicklung lässt sich sowohl inhaltlich (Global Scaling® als metatheoretischer Rahmen für andere EsoterikerInnen) wie auch personell und finanziell (am Modell der Wissenspyramide der Energieheilung) nachvollziehen.

Man kann die Fragmentierung der Szene und die Verwarenförmigung der Verfahren als Teil der Postmoderne deuten, wie es im Artikel zu den verschiedenen Erscheinungsformen des Konzepts "Karma" geschehen ist.

Man könnte auch konstatieren, daß mit 20 Jahren Verspätung die postfordistische Arbeitsorganisation in die Esoterik Einzug gehalten hat. Wie das Fließband durch Gruppenarbeit ersetzt wurde, tritt an Stelle der weltweit agierenden Sekten eine flexible und sich selbst regulierende Szene von individuellen Sinnanbietern – vielleicht hervorgerufen durch den Vertrauensverlust, den Gurus und Sekten in den 1980er-Jahren hinnehmen mussten.

Dabei führt diese neue Flexibilität keineswegs zu einer Abkehr von der streng hierarchischen Wissensorganisation in der Esoterik. Viel mehr ändert sich der Weg, wie die Autorität der FührerInnen sichergestellt wird: Was früher als Geheimwissen klassifiziert war, wird heute einfach als Wortmarke geschützt und soll dadurch gegen Kritik immunisiert werden. Bei aller Modernisierung geht es immer noch darum, vom Guru Wissen anzunehmen, statt es kritisch zu hinterfragen.

Daß es in dieser Szene wenig Abgrenzung zu rechten Angeboten gibt, ist nicht verwunderlich.

Der Beitrag über Bert Hellinger hat entsprechend deutlich den sexistischen, autoritären und in der Konsequenz protofaschistischen Hintergrund der weit verbreiteten Familienaufstellung herausgearbeitet. Ach wenn er nur Ausschnitte gezeigt hat, wurde durch den Text zu Max Otto Bruker deutlich, daß es ganz konkrete Schnittstellen zwischen Neofaschismus und Esoterik-Szene gibt. Das Beispiel von Helena Blavatsky und ihrer Epigonen hat deutlich gemacht, daß diese Schnittstellen nicht zufällig entstehen, sondern sich durchaus auf eine Anschlussfähigkeit der zentralen Ideen berufen können.

Das Argument, es handele sich bei rechter Esoterik um einige wenige und bedeutungslose "extreme Vertreter" und "radikale Strömungen" (wie der ENGL e.V. behauptet) halten wir damit erneut für widerlegt.

Nun geht es bei der Kritik esoterischer Welterklärungen nicht nur darum, die Verfahren zu beschreiben und zu zeigen, wie sie in die jeweilige Gesellschaftsformation passen. Wichtig ist eine Erklärung für die beschriebenen Phänomene. Auf individueller Ebene wäre zu untersuchen, welche Bedürfnisse Esoterik befriedigt. Ohne weitere Empirie ist das für uns in diesem Rahmen nicht zu leisten.

Theoretisch gesehen scheint es uns recht nachvollziehbar, den Boom der Esoterik als Reaktion auf die Moderne zu deuten. Die Kritische Theorie hat ausgeführt, wie die Aufklärung die Welt auseinander reißt und Sphären sich ergänzender Gegensatzpaare schafft: Emotion-Rationalität, Geist-Körper, Frau-Mann, Glaube-Wissen, Erfahrung-Erkenntnis.

Die öffentliche Sphäre – Arbeit und Ausbildung, Wissenschaft, Politik, Recht – legt in der Moderne Wert auf die rationale, "kalte", messbare Seite der Dinge. Die emotionalen, "warmen" Aspekte des Lebens werden durch die Aufspaltung in die Privatsphäre geschoben, die völlig damit überfrachtet ist, den Ausgleich für die Arbeitswelt zu leisten. Zudem ist sie selbst auch von der Rationalisierung aller Lebensbereiche betroffen und ständig den Angriffen der Warenlogik ausgesetzt. Wie Adorno und Horkheimer sagen: "Aufklärung schneidet das Inkommensurable [nicht Vergleichbare, Messbare] ab."

Auch wenn diese Verhältnisse von ihrer Machart her schwer zu verstehen sind, bereitet die daraus folgende Erfahrung, nur noch Rädchen im System zu sein, vielen Menschen Unbehagen.

Die Esoterik verspricht diesen Zustand durch die individuelle Zufuhr von spiritueller Wärme zu heilen.

Sie will genau das stark machen, was in der Sphäre der Öffentlichkeit fehlt – geistiges Wachstum, Erfahrung, emotionale Balance, Wärme.

Damit ist Esoterik ebenso wie die Liebe und das Privatleben eine Kompensation für die Probleme, die Indiviuden in der Moderne erfahren. In diesem Punkt unterscheidet sich eine Energiemeditation nicht von einem Kinobesuch – beide helfen dabei, das Leben in beschissenen Verhältnissen ein wenig besser zu ertragen. Aber während das Kino niemals leugnet, als warenförmige Reproduktion Teil der Maschine zu sein, stellt sich die Esoterik als Alternative dar – was sie mitnichten ist.

Die vorgestellten Verfahren sind durch und durch völlig warenförmig organisiert, warenförmiger noch als Wissenschaft, die zumindest vom Anspruch her allen zur Verfügung stehen soll. Es gibt nichts kostenlos im Esoterik-Supermarkt und selbst die Erkenntnis wird noch zur Ware und im besten Falle als Wortmarke geschützt.

In Bezug auf die Wirkung verspricht das Unterhaltungskino im besten Falle einen schönen Abend – ohne daß am Ende ein messbares Ergebnis stehen muss. Im Unterschied dazu versprechen esoterische Praktiken eine allumfassende Selbstoptimierung – bei fast allen Methoden mit dem expliziten Verweis auf beruflichen Erfolg. Der unbedingte Zwang, sich selbst ständig zu optimieren ist aber eine der größten Zumutungen, die der moderne Kapitalismus angerichtet hat. Die Esoterik ist also keinesfalls eine Alternative zur allgegenwärtigen Verwertung, sondern leistet ihr vielmehr noch Vorschub.

Die "Ganzheitlichkeit", von der im esoterischen Kontext die Rede ist, entlarvt sich aus dieser Perspektive heraus selbst – als "Ja" zur Totalität des Kapitalismus, die jeden Lebensbereich der Nutzenoptimierung zu unterwerfen sucht.

So ist die Esoterik mitnichten eine Gegenbewegung zur Moderne. Sie bietet den Hilfesuchenden einen energetischen Anorak und verspricht, damit in der "Kälte" der Zweckrationalität besser zu funktionieren.

Am Zustand der Gesellschaft kann das freilich nichts ändern. Dafür müsste man schon versuchen, kollektiv die Verhältnisse zu ändern, statt individuell "Ja" zu sagen.

Erfurt im Herbst 2008