Als am 9. Oktober 2008 eine esoterikkritische Veranstaltung über Energieheilverfahren in der Offenen Arbeit Erfurt stattfand, war das nur gegen Widerstände möglich. Das "Erfurter Netzwerk ganzheitliche Lebensweise" (ENGL) hatte im Vorfeld der Offenen Arbeit in einem Schreiben nahegelegt, die Veranstaltung ausfallen zu lassen. Es hieß, das Biko sei eine "radikale Strömung", die in der Offenen Arbeit "unterkrieche" und pauschal und schlecht recherchiert harmlose Vereine diffamiere.
Was wir recherchiert hatten, war zu dieser Zeit freilich noch gar nicht öffentlich. Lediglich die Veranstaltungsankündigung war dem Netzwerk aufgestoßen. Dort hieß es, das Netzwerk sei Teil einer "vergleichsweise harmlosen Spielart der Esoterik, die außer am Geldbeutel wenig Schaden anrichtet", es wurde aber auch benannt, daß es dort "sehr umstrittene Angebote wie Familienaufstellung nach B. Hellinger oder obskure Heilverfahren, die versprechen gegen alles zu helfen" gebe. Weiter hieß es: "Zudem steigt die Bereitschaft, gefährliche, antisemitische und verschwörungstheoretische Ansätze anzunehmen mit zunehmender Akzeptanz von esoterischem Denken."
Auf unser Angebot einer inhaltlichen Auseinandersetzung sind die EsoterikerInnen nicht eingegangen. Dafür klingelte am 22.10. das Biko-Telefon und eine Mitarbeiterin des "Instituts für Raum-Energie-Forschung" verlangte empört zu erfahren, ob denn die Referentin der geplanten Veranstaltung über Global Scaling® auch zertifizierte Absolventin des Institut sei. Das von Hartmut Müller entwickelte Global Scaling® stellt sich gerne als anerkannte wissenschaftliche Theorie dar, ist aber ebenso wie TEMPO® und Mc Donalds® als Wortmarke eingetragen. An einem wissenschaftlichen Diskurs ist man demzufolge bei Müllers nicht interessiert und versucht folgerichtig, kritische Veranstaltungen gleich im Vornherein zu verhindern.
Weder das Biko noch der lokale Kooperationspartner Offene Arbeit hat sich durch diese Versuche einschüchtern lassen. Die Veranstaltungen haben mit vielen Teilnehmer_innen stattgefunden und es gab ein Stück weit sogar eine öffentliche Auseinandersetzung um das im gleichen Zeitraum in Erfurt stattfindende Esoterik-Festival "Open your Heart".
In dieser Broschüre kann man sich nun abschließend davon überzeugen, daß wir nicht "pauschal und schlecht recherchiert" jegliche Esoterik ohne Kenntnis ihrer Besonderheit abqualifizieren.
Die Beiträge zu Global Scaling® und Energieheiheilverfahren zeigen im Detail die Hintergründe und die Praxis konkreter Verfahren, die vom ENGL angeboten werden.
Der Text zu Global Scaling® ist ohne Vorwissen über Physik etwas schwieriger zu verstehen. Er will Freude am Herausknobeln der fachlichen Zusammenhänge zeigen. Außerdem ist Müllers Theorie nicht besonders einfach und eine Kritik muss sich wenigstens "auf Augenhöhe" bewegen, wenn sie sachlich sein will.
Wie in den Randbereichen der Esoterik Psychogruppen eine Gefahr für ihre Kund_innen werden können zeigt der von der Gothaer Stadtteilzeitschrift Areal übernommene Beitrag über Familienaufstellung nach Bert Hellinger – auch diese wird im Erfurter Netzwerk praktiziert.
Ein kurzer Text über den mittlerweile verstorbenen "Ernährungspapst" Max Otto Bruker zeigt die organisatorischen Schnittstellen zwischen der "ganzheitlichen" Szene und dem Neofaschismus, während der Beitrag "Mit der Lichtrasse gegen den ‚jüdischen Geist‘" die Wurzeln der Esoterik in der völkischen Bewegung der 1920er Jahren beleuchtet.
Randnoten zum Thema "Karma" und "Auraphotographie" zeigen, wie traditionelle indische Philosophie und pseudowissenschaftliche Verfahren genutzt werden, um die Glaubwürdigkeit esoterischer Welterklärungen zu untermauern bzw. zu beweisen.
Abschließend versuchen wir in der Zusammenfassung die Synthese zu liefern und auf den Punkt zu bringen, was nun unser Problem mit Esoterik ist – denn bei aller Differenzierung zwischen harmloser Spinnerei und antisemitischen Verschwörungstheorien halten wir generell nach wie vor mehr davon, die Welt kollektiv zu ändern, statt sie uns individuell schön zu denken.
Die Esoterik-Vorbereitungsgruppe beim Bildungskollektiv